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Tauschgeschäft

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Der Minisohn läuft. Endlich. Viel zu früh. Mit einem stolzen Strahlen im Gesicht kommt er jetzt um die Ecke gewankt. Ein bisschen steif noch, leicht schwankend und immer wieder um sein Gleichgewicht ringend. Auch meine Gefühle schwanken: zwischen vor Stolz platzend und großer Wehmut. Viel zu schnell ist mein kleinstes Baby groß geworden. Gleichzeitig hoffe ich, dass sein bislang oberstes Ziel etwas ins Hintertreffen gerät: die Erklimmung aller erklimmbaren Einrichtungsgegenstände. „Kinder wollen hoch hinaus“ – diesen Spruch nimmt er wirklich ernst.

Während ich damals beim Maxisohn noch jeden Fortschritt sehnsüchtig erwartet und uneingeschränkt gefeiert habe, frage ich mich jetzt, warum das alles so rasant gehen muss. Damit ist ein Satz erfahrener Eltern bereits Wahrheit geworden: „Ehe man sich versieht, sind sie groß.“ (Na ja, fast zumindest.) Dem folgt meist: „Genießt die Zeit, wenn sie noch so klein sind.“

Doch so schön die Zeit momentan auch ist: Manchmal wäre so eine kleine Auszeit doch nicht schlecht. Eine Woche wandern in den Bergen. Ausschlafen bis in die Puppen. Lesen, saunieren und faulenzen ohne Störung. Toll! Ich weiß, das kommt alles automatisch, wenn die Kinder mal größer sind. Doch da liegt auch der Knackpunkt: So wie ich mich kenne, werde ich genau dann die momentane Zeit vermissen.

Deswegen habe ich mir ein Tauschgeschäft überlegt. Ich tausche zwei Wochen in meinem Jetzt gegen zwei Wochen in meiner Zukunft. Vermutlich würde ich mich niemals mehr über zwei Wochen Freiheit freuen als jetzt im Moment. Und gleichzeitig wäre es doch verlockend, nachts statt auf die Heimkehr des partyfeiernden Teenies zu warten, sich mit einem zuckersüß schnarchenden Kleinkind um die wärmende Decke zu streiten. Nie wäre man bereiter für endlose Vorleseorgien – selbst wenn es zum 100. Mal die neuesten Abenteuer von Bibi und Tina sind – als wenn die Kinder nur noch am Wochenende mal vorbeischneien. Und was für ein Genuss wäre es, einmal wieder der Dreh- und Angelpunkt im Leben der Kinder zu sein: die Person, ohne die keine Schnürsenkel gebunden und keine Apfelschorle eingeschenkt sind; die Pflaster klebt und blaue Flecken streichelt, die Streit schlichtet und Tränen trocknet; um deren Platz auf dem Schoß sich drei kleine eifersüchtige Räuber raufen und die sechs Ohren bräuchte, um gleichzeitig allen zuhören zu können, wenn sie nach dem Kindergarten und der Schule das Erlebte erzählen.

Wer tauscht mit?

Im nächsten Leben werde ich Krake

Acht Arme wären einfach unglaublich praktisch. Zum Beispiel am Morgen: Während ich mit je einem Arm parallel Bananenjoghurt, Haferflockenmilch und Schokomüsli zubereite, schmieren zwei weitere Arme die Brote für den Kindergarten und schnitzen Äpfel. Mit Arm sechs und sieben zupfe ich derweil die Strumpfhose der Madame exakt so zurecht, dass sie nicht zwickt, und freue mich, dass ein Arm übrig ist, um schnell mal am Kaffee zu nippen.

Danach pflückt ein Arm die Bananenjoghurtreste aus den Haaren des Kleinsten, während ich lässig mit zwei Armen nach zusammenpassenden Handschuhen wühle. Mit einer Wurzelbürste befreie ich die Schuhe des Großen von den Schlammklumpen, die er gestern aus Nachbars Garten mitgebracht und erstmal über Nacht hat trocknen lassen. Derweil ziehen Arm fünf und sechs der Madame doch noch eine andere, besser passende Strumpfhose an und wechseln außerdem die Jacke, denn die Ärmel sind zu eng. Mit Arm sieben koche ich noch schnell Tee für den Großen, der sich gerade daran erinnert hat, dass heute ja Waldtag ist, und dafür dringend etwas Warmes zu trinken mitnehmen muss. Arm acht nutzt die Zeit, um wie immer den Haustürschlüssel zu suchen. In Nullkommanichts sind wir fertig und können völlig entspannt und ohne Hektik das Haus verlassen.

Leider hat mich das aktuelle Leben nur mit zwei Armen ausgestattet. Ich kann also eigentlich gar nichts dafür, dass ich ab und an eher im Chaos versinke, statt entspannt und lässig den Alltag zu jonglieren. Von den großen und kleinen Katastrophen, die unserem Leben als fünfköpfige Familie die Chance nehmen, jemals langweilig zu werden, berichte ich auf diesem Blog – wann immer ein Arm zum Schreiben frei ist.